(Zweiter Artikel der Serie „Die Macht der Glaubenssätze in der Transformation“)
Im ersten Artikel unserer Serie „Die Macht der Glaubenssätze in der Transformation“ haben wir beleuchtet, wie tief verankerte Überzeugungen den Verlauf und Erfolg von Veränderungsprozessen maßgeblich beeinflussen können. Individuelle sowie organisationale Glaubenssätze können sehr wirkmächtig sein und wie „Kraftfelder“ das Handeln im Unternehmen beeinflussen. Als selbstgeschaffene und geteilte Überzeugungen wirken sie nicht selten wie selbsterfüllende Prophezeiungen auf der Ebene des Unbewussten und behindern oder beflügeln Veränderungen. Und hier liegt die erste Dualität vergraben, die wir noch weiter ausführen werden: Glaubenssätze wirken oft als zu subtile Behinderungen, die den Erfolg von Transformationsprozesse mildern und gleichzeitig offensichtlich die Chancen auf nachhaltigen Erfolg beflügeln.
Unser zweiter Artikel widmet sich nun einigen spezifischen Glaubenssätzen wie wir sie täglich in unserer Beratungspraxis erleben, ihren Ausprägungen und ihrer Bedeutung für die Transformationsarbeit.
Los geht’s mit den Top 10 oder besser Top 20 Glaubenssätzen:
1 – „Transformation braucht immer Geduld und Zeit“ versus „Transformation kann auch schnell und abrupt erfolgen“
Wir erleben, dass viele Unternehmen glauben, dass echte Veränderungen nur Schritt für Schritt und über lange Zeiträume hinweg stattfinden können. Tatsächlich kennen wir aber die Situation, dass plötzliche Marktdynamiken – etwa durch technologische Durchbrüche oder neue Wettbewerber – oft zu sehr schnellen und tiefgreifenden Transformationen führen. Beide Perspektiven sind wichtig: Einerseits sind Ausdauer und langfristige Planung hilfreich, andererseits kann ein Unternehmen von raschen Entwicklungen überrollt werden, wenn es nicht auch spontane Anpassungen zulässt.
2 – „Bei Transformationsprozessen besteht die ständige Gefahr, dass das Budget ausgeht und wir am Ende scheitern“ versus „Solide Planung und klare Ressourcen-Zuordnung minimieren finanzielle Risiken und sichern den Erfolg“
In vielen Projekten erleben wir bei den Beteiligten die Befürchtung, dass Transformationen im letzten Moment wegen Geldmangels scheitern. Doch es gibt zahlreiche Beispiele, in denen eine kluge Finanz- und Ressourcenplanung dieses Risiko stark reduziert hat. Entscheidend ist, Unsicherheiten früh anzusprechen, sich realistische Meilensteine zu setzen und finanzielle Puffer einzuplanen.
3 – „Erfolgsfaktoren für eine gelungene Transformation sind vor allem gute Führung, Durchhaltevermögen und die richtige Methodik“ versus „Externe Impulse, spontane Marktchancen und regulatorische Eingriffe treiben den Wandel oft stärker als jede interne Planung“
Natürlich sind Führung und Methodik wichtige Stützen von Veränderungsprozessen. Gleichzeitig können unerwartete Faktoren – etwa neue rechtliche Anforderungen oder eine rasante Veränderung im Kundenverhalten – die eigentlichen Katalysatoren einer Transformation sein. Ein Beispiel dafür sind Datenschutzbestimmungen, die neue Geschäftsfelder eröffnet haben. Erfolgreich transformieren bedeutet daher, das Zusammenspiel interner Strukturen und externer Impulse aktiv zu gestalten.
4 – „Wer am Bestehenden festhält, verhindert wichtige Neuerungen“ versus „Tradition und bewährte Prozesse können Stabilität und Kontinuität schaffen, die Innovation erst möglich machen“
Oft wird der Satz „Das haben wir immer schon so gemacht“ nur als Bremsklotz für Fortschritt dargestellt. Doch sollten wir genauer hinschauen und uns als Berater:innen nicht unreflektiert davon „triggern“ lassen, denn aus unserer Sicht ist ein differenzierter Blick notwendig: Funktional betrachtet sorgen eingespielte Routinen ganz entscheidend für Verlässlichkeit und geben Teams ein sicheres Fundament. Erfolgsentscheidend für die Transformation ist es daher, Traditionen nicht reflexartig über Bord zu werfen, sondern sie bewusst mit neuen Ansätzen zu verbinden – wie etwa die Kombination klassischer Balanced Score Card mit modernen OKR-Methoden. Ein scheinbarer Widerspruch, der sich aber im Detail auflösen lässt. Voraussetzung dafür ist allerdings Offenheit und ein Besinnen auf den gemeinsamen Kern sowie das zu lösende Problem.
5 – „Transformation gelingt nur, wenn alle direkt zu 100 % mitziehen und jede Unsicherheit ausgeräumt ist“ versus „Veränderung ist immer von Unsicherheit begleitet – entscheidend ist, früh zu handeln und mutig voranzugehen“
Die Vorstellung, dass man erst starten darf, wenn im Unternehmen perfekte Klarheit herrscht, führt oft zu endlosen Verzögerungen. Darüber hinaus geht dieser idealistische Zustand komplett an der Praxis vorbei. Denn dort zeigt sich: Transformationen haben immer offene Fragen, und es wird nie den idealen Zeitpunkt geben. Wer bereit ist, mit diesen Ungewissheiten umzugehen und trotzdem konkrete Schritte zu gehen, kann schneller auf neue Marktanforderungen reagieren – bevor Wettbewerber das tun. Mehr noch der gekonnte und souveräne Umgang unter Unsicherheit zuverlässig zu navigieren, ist eine der Kernkompetenzen für Transformationsverantwortliche.
6 – „Alle Mitarbeitenden ziehen automatisch an einem Strang, wenn das Top-Management eine Transformation ausruft“ versus „Verborgene Agenden und unterschiedliche Ziele gehören dazu und können bei richtiger Moderation sogar kreative Lösungen fördern“
Häufig gehen Führungskräfte davon aus, dass formale Kommunikation oder ein offizieller Projektplan reichen, damit alle von der Transformation beteiligten mitmachen. Das weist darauf hin, dass das Konzept von formaler Führung mittels Hierarchie in ihrer Wirksamkeit massiv überschätzt wird. Menschen und Abteilungen haben oft unterschiedliche rationale Interessen und Prioritäten, die sich aus dem organisationalen Kontext ergeben und logisch erklären lassen. Werden diese Interessenskonflikte (Silo-Rationalitäten, die mit Blick auf das Wort rational absoluten Bestand haben) nicht offen angesprochen, entstehen verdeckte -aber erklärbare -Widerstände „gegen die Transformation“. Umgekehrt kann es sehr produktiv sein, verschiedene Blickwinkel gezielt einzubeziehen – daraus entwickeln sich oft konstruktive Diskussionen und bessere Ergebnisse. Hier sehen wir einen entscheidenden Stellhebel für das Gelingen von Transformation. Ein klug moderierter organisationaler Diskurs und eine Kompetenz des „disagree but commit“ ist eine zwingend notwendige Zutat, um – nach gemeinsamer Sinnsetzung für das WOZU der Transformation – die Transformation auch wirklich mit allen Beteiligten umzusetzen.
7 – „Bei einer Transformation sollten wir in kurzer Zeit möglichst viel Altes über Bord werfen, um schnell voranzukommen“ versus „Nachhaltige Veränderungen entstehen durch eine Balance aus Bewahren und Erneuern“
In der Hektik des Wandels besteht die Gefahr, mit dem alten Systemwissen auch funktionierende Prozesse abzuschaffen. Erfolgreiche Transformationsarbeit bedeutet, bewusst zu prüfen, was wirklich veraltet ist und was dem Unternehmen weiterhin Stabilität gibt. Besonders bei komplexen Projekten – etwa dem Umstieg auf ein neues ERP-System – ist es sinnvoll, bewährte Funktionen schrittweise zu integrieren, statt alles radikal abzuschalten. Wir empfehlen, wichtigen Personen Anerkennung und Wertschätzung angemessen zukommen zu lassen müssen, die länger zum System gehören. Man sollte nicht außer Acht lassen, dass diese Personen mit früherer Kompetenz das Überleben des Unternehmens gesichert haben. Erfolgt dieser Schritt, so ist es nicht selten der größte Kritiker, der zum hilfreichen Protagonisten innerhalb der Transformation wird, weil er oder sie angemessen gehört wurde und durch seinen oder ihr zutun kritisches Wissen zum Gelingen bei der Implementierung beispielsweise neuer Systeme liefern kann.
8 – „Ein Transformationsprozess scheitert oft an den letzten 5 % Perfektion, die nicht rechtzeitig umgesetzt werden“ versus „Manchmal reichen 80 % für den Durchbruch – Perfektion kann später nachjustiert werden“
Gerade in technischen Projekten beobachten wir, wie Teams sich an Detailfragen festbeißen und die Zeit davonläuft. Dabei belegen zahlreiche Beispiele, dass ein zügiges Go-live mit einem ‚guten, aber nicht perfekten‘ Produkt durchaus erfolgreich sein kann. Entscheidend ist, rasch die Hauptrisiken zu beherrschen und dann in iterativen Schritten nachzubessern – statt Monate oder Jahre auf eine vermeintlich perfekte Lösung zu warten.
9 – „Eine gute Kommunikation löst automatisch alle Konflikte und Widerstände im Transformationsprozess“ versus „Funktionale Konflikte und kontroverse Diskussionen sind wertvoll und dürfen nicht durch Harmoniebedürfnis erstickt werden“
Zwar ist Offenheit in der Kommunikation entscheidend für den Erfolg einer Transformation. Doch Konflikte sind oft der Katalysator für neue Ideen und Weiterentwicklungen. Wenn sich Unternehmen bemühen, alle Reibung zu vermeiden, bleibt auch viel Innovationspotenzial ungenutzt. „Streiten“ auf Augenhöhe, konstruktiver Widerspruch und gezieltes Ausbalancieren unterschiedlicher Interessen können den Wandel maßgeblich vorantreiben. Zugespitzt könnte man auch sagen, der Konflikt ist wertvoll und Quelle der Erkenntnis für die Lösung.
10 – „Transformationen sind in erster Linie eine Reaktion auf äußere Marktzwänge“ versus „Innere Faktoren wie Kultur, Bereitschaft zur Selbstreflexion und Innovationstriebkraft sind ebenso maßgeblich“
Viele Unternehmen gehen davon aus, dass sie sich nur verändern, weil der Markt es diktiert. Das greift jedoch oft zu kurz: Interne Haltungen, Glaubenssätze und das Zusammenspiel der Mitarbeitenden untereinander haben entscheidenden Einfluss darauf, wie schnell und wie nachhaltig Veränderung gelingt. Wer beides kombiniert – Marktdruck und interne Wandlungsfähigkeit – erhöht die Erfolgschancen erheblich.
Wieso es Top 20 und nicht Top 10 sind … Dichotomien in Glaubenssätzen und ihre Auswirkungen
Die oben genannten Glaubenssätze sind exemplarisch, erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und zeigen deutlich, wie polarisiert die Denkweisen innerhalb eines Unternehmens sein können. Daher ist es uns wichtig zu betonen, dass diese Dichotomien keine pathologischen Zustände darstellen, sondern in der Natur von Organisationen liegen. Entscheidend ist, diese Gegensätze zu erkennen und zu hinterfragen und miteinander klug auszuhandeln, ob sie in Hinblick auf die angestrebten Ziele (immer noch) hilfreich und funktional sind.
In einer immer komplexer werdenden Welt ist es daher zunehmend wichtig, überholte Glaubenssätze, individuelle sowie kollektive mentale Modelle regelmäßig zu hinterfragen und Raum für Neues zu schaffen und zu lernen, mit ihnen gekonnt zu jonglieren.
Gerne unterstützen wir Sie dabei, ihre mentalen Modelle und Überzeugungen kritisch zu hinterfragen und konstruktive Denkweisen zu etablieren. Denn nur durch die bewusste Gestaltung dieser inneren Überzeugungen lässt sich die Energie für den Wandel erhöhen und die Widerstandskraft gegenüber Veränderungen verringern.
Im dritten Teil unserer Serie werden wir noch tiefer in die Glaubenssätze einsteigen und uns intensiver mit verschiedenen Typen von Glaubenssätzen beschäftigen.
Der nächste Artikel dieser Serie erscheint Ende Januar 2025.