(Dritter Artikel der Serie „Die Macht der Glaubenssätze in der Transformation“)
In den ersten beiden Teilen unserer Serie haben wir herausgearbeitet, wie machtvoll Glaubenssätze Veränderungen beeinflussen können und warum es sinnvoll ist, sie regelmäßig zu hinterfragen. Wir haben unterschiedliche, teils polarisierende Beispiele vorgestellt und gezeigt, wie sich bestimmte Überzeugungen als „unsichtbare Kräfte“ in Transformationsprozessen bemerkbar machen.
Nun wollen wir diese Diskussion vertiefen und verschiedene Typen oder Cluster von Glaubenssätzen systematisch beleuchten. Wir betrachten, warum manche Überzeugungen so hartnäckig sind, wie sie sich in Teams und Organisationen auswirken und welche Ansätze helfen, um konstruktiv mit ihnen zu arbeiten. In diesem Artikel fließen zudem Aspekte der Komplexität und der Kybernetik ein – als existenzielle Grundlagen, die verdeutlichen, dass Transformationen meist hochdynamische, sich selbst steuernde Prozesse sind, die wir nur bedingt kontrollieren, jedoch systemisch begleiten können.
Warum eine Kategorisierung von Glaubenssätzen sinnvoll ist
Glaubenssätze sind nicht alle gleich. Manche beziehen sich eher auf die Identität der Organisation („Wir sind nun mal nicht so risikofreudig“), während andere die technische Machbarkeit betreffen („Unsere Kunden wollen keine digitalen Lösungen“). Wieder andere drehen sich um Führung, Kultur oder Beziehungen. Eine gezielte Einordnung macht es leichter, sie zu erkennen und die jeweils passenden Interventionsmethoden zu wählen. Denn nichts ist so frustrierend wie ein gut gemeinter Workshop, der an den eigentlichen Überzeugungsmustern vorbeigeht.
Gerade weil Unternehmen in komplexen Umwelten agieren und sich in kybernetischen Rückkopplungsschleifen mit ihrer Umwelt befinden, ist eine systematische Sortierung der Glaubenssätze hilfreich. Je klarer wir wissen, mit welcher Art von Überzeugung wir es zu tun haben, desto gezielter lässt sich deren Wirkung verstehen – und verändern.
Fünf zentrale Cluster von Glaubenssätzen
Die folgende Einteilung ist eine Möglichkeit, um die Vielfalt von Glaubenssätzen in Unternehmen zu strukturieren. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll aber anregen, differenziert hinzuschauen und daraus Impulse für die Transformationsarbeit abzuleiten.
Identitäts- und Selbstwirksamkeits-Glaubenssätze
Diese Überzeugungen betreffen das grundlegende Selbstverständnis einer Organisation oder eines Teams: „Wir sind innovativ und richten uns immer wieder neu aus“ oder „Wir sind traditionell und eher vorsichtig“. Auf individueller Ebene äußern sie sich in Glaubenssätzen zur eigenen Kompetenz („Ich bin nicht der Typ für kreative Ideen“).
Beispiele
- „Wir sind eine bodenständige Firma, bei uns hat Experimente-Machen keinen Platz.“
- „Ich bin nur ein kleines Rädchen, ich kann sowieso nichts verändern.“
Grundsätzlicher Arbeitsansatz
- Reflexionsrunden über Selbstbild: Team-Genogramme oder Formate zum Teilen von Erfolgs-Storys, um positive Erfahrungen und Stärken ins Bewusstsein zu rufen.
- Sinngebung („Purpose-Check“): Klärung, wofür das Unternehmen stehen will und wie sich daraus eine attraktive Vision ableitet.
- Individuelle Entwicklungsarbeit: Coachings oder Mentoring, um auch persönliche Kompetenzen zu stärken und alternative Überzeugungen zu erproben.
Fachliche und methodische Glaubenssätze
In diesem Cluster finden sich Überzeugungen, die sich auf Methoden, Tools und Fachwissen beziehen: „Diese Methode funktioniert nicht bei uns“, „Digitalisierung ist nur was für Start-ups“, „Unser Produkt braucht kein Marketing, es verkauft sich von selbst“.
Beispiele
- „Wir brauchen unbedingt ein großes Beratungshaus, sonst kriegen wir das nicht hin.“
- „Wir müssen unsere Kunden ständig mit technischen Neuerungen überraschen, sonst verlieren wir sie.“
Grundsätzlicher Arbeitsansatz
- Validierung durch Experimente: Statt endlos über „richtig oder falsch“ zu diskutieren, helfen Pilotprojekte und Proof-of-Concepts zur Realitätsprüfung.
- Shared Learning: Lunch & Learn-Formate, interne Barcamps oder kurze Workshops, in denen Methoden vorgestellt und kritisch geprüft werden.
- Rollendes Monitoring: Regelmäßige Marktscans und KPI-Analysen, um „gefühlte Wahrheiten“ durch Daten zu ergänzen und wenn nötig zu korrigieren.
Kultur- und Beziehungs-Glaubenssätze
Diese Glaubenssätze prägen das Miteinander: wie in einer Organisation Konflikte gelöst, Kommunikation gestaltet und Zusammenarbeit verstanden wird. Typische Aussagen sind „Innovation kommt nur von oben“, „Hier spricht man Probleme nicht offen an“, „Wenn ich konstruktives Feedback gebe, werde ich abgelehnt“.
Beispiele
- „Unsere Führungskräfte wollen sowieso keine echten Diskussionen, das ist nur Show.“
- „Man muss sich hier lieber zurückhalten, sonst eckt man zu sehr an.“
Grundsätzlicher Arbeitsansatz
- Moderierte Dialogräume: Zum Beispiel World-Cafés, in denen Raum für kontroverse Themen geschaffen wird und die Ergebnisse in konkrete Handlungen überführt werden.
- Team-Alignment: Klärung, wie man künftig miteinander umgehen möchte (Leitlinien für Konfliktlösung, Feedback).
- Rollen- und Beziehungsverhandlungen: Systemische Aufstellungen oder Simulations-Settings, um unausgesprochene Erwartungen sichtbar und handhabbar zu machen.
Markt- und Zukunfts-Glaubenssätze
Hier geht es um die Einschätzung externer Einflüsse und die Erwartung, was die Zukunft bringen wird: „Unsere Kundinnen sind nicht offen für digitale Kanäle“, „Der Markt wird uns schon weiter tragen“, „Die Konkurrenz schläft nie, wir müssen uns permanent neu erfinden“.
Beispiele
- „Unsere Branche ist viel zu konservativ, die Kundschaft will garantiert keinen Online-Service.“
- „Die Transformation müssen wir sowieso nur machen, weil uns sonst die Konkurrenz überholt.“
Grundsätzlicher Arbeitsansatz
- Zukunftswerkstatt oder Szenario-Planung: Verschiedene Zukunftsbilder entwickeln, um deutlich zu machen, dass es nicht nur eine mögliche Realität gibt.
- Kundenfokus und Reality-Checks: Direkte Einbeziehung von Kund*innen in Workshops oder über Interviews.
- Datenbasierte Analysen: Quantitative und qualitative Marktforschung, um Annahmen zu überprüfen und fundiert zu ergänzen.
Zeit- und Ressourcen-Glaubenssätze
Dieses Cluster dreht sich um Überzeugungen zu Geschwindigkeit, Aufwand und Durchhaltevermögen: „Transformation braucht immer mehrere Jahre“, „Das Budget reicht nie aus“, „Wir müssen erst alles perfekt planen, bevor wir starten“.
Beispiele
- „Transformationsprozesse scheitern immer am Ende, weil uns Zeit und Geld ausgehen.“
- „Ohne perfekte Planung verschwenden wir nur Ressourcen.“
Grundsätzlicher Arbeitsansatz
- Agile Roadmaps: Statt riesiger Masterpläne kurze, iterative Projekte mit klaren Meilensteinen und schnellem Feedback.
- Risikomanagement und Puffer: Finanzielle Reserven und eine offene Fehlerkultur, um Unsicherheiten abzufedern.
- Flexibles Lernen: Iterative Lernschleifen und die Bereitschaft, Annahmen im laufenden Prozess zu verändern.
Paradoxiemanagement und die Bedeutung komplexer Systeme
Das Aufspüren einer oft „gemischten Überzeugungs-Landschaft“ erfordert sorgfältige Beobachtung der Organisation im Tagesgeschäft. Hierbei treffen wir häufig auf Widersprüche und Ambivalenzen, etwa in Form von „Wir möchten uns verändern, aber wir halten eisern an Gewohntem fest“. An diesem Punkt kommt das Paradoxiemanagement in Organisationen ins Spiel: Statt diese widersprüchlichen Haltungen bloß aufzulösen oder zu unterdrücken, kann es hilfreich sein, sie bewusst sichtbar zu machen und systematisch damit umzugehen. Oft sind solche Paradoxien Zeichen einer tieferen Dynamik, die gerade in hochkomplexen und kybernetischen Umwelten entsteht.
Kybernetik und Komplexitätswissenschaft zeigen uns, dass Organisationen in ständigen Rückkopplungsschleifen mit ihrer Umwelt stehen und sich weiterentwickeln – teils ungeplant, teils selbststeuernd. Gerade deshalb ist es zentral, Glaubenssätze nicht als „statisch“ zu betrachten, sondern zu erkennen, dass sich Überzeugungen und Verhalten wechselseitig beeinflussen. Ein bewusster Umgang mit Paradoxien ermöglicht es, neue Denk- und Handlungsräume zu eröffnen und die Selbststeuerung des Systems zu fördern.
Zusammenfassung: Ein systemischer Zugang zu Glaubenssätzen
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Wahrnehmen und Respektieren
Zunächst sollten die vorhandenen Überzeugungen bewusst gemacht und nicht vorschnell verurteilt werden. Jeder Glaubenssatz hatte einmal eine Funktion – oft sogar eine überlebenswichtige. -
Reflektieren und Hinterfragen
Im nächsten Schritt klären wir, in welchem Kontext ein Glaubenssatz sinnvoll war und wo er heute vielleicht die Entwicklung behindert. Systemische Fragen wie „Wofür könnte dieser Glaubenssatz nützlich sein?“ oder „Wer profitiert davon, wer nicht?“ eröffnen hier oft neue Denkansätze. -
Experimente wagen und Neues ausprobieren
Um starre Überzeugungen aufzubrechen, helfen kleine Schritte und Experimente mehr als große Ankündigungen. Etwa ein Pilotprojekt oder ein Test, in dem Teams sich bewusst „anders“ verhalten dürfen als sonst. -
Routinen schaffen für den Wandel
Dauerhafte Veränderung entsteht, wenn neue Glaubenssätze in den Arbeitsalltag integriert werden: durch Review-Meetings, Coaching für Führungskräfte oder Team-Kulturen, die eine konstruktive Fehler- und Lernkultur leben.
Ausblick und Einladung zum gemeinsamen Weiterdenken
Die Kategorisierung von Glaubenssätzen bietet eine Orientierung, um die verschiedenen Facetten dieser „unsichtbaren Kraftfelder“ in Organisationen zu erkennen und zu gestalten. In Zeiten hoher Komplexität und sich selbst verstärkender kybernetischer Schleifen ist es besonders wichtig, die Dynamik von Überzeugungen zu verstehen. Paradoxien gehören zum organisationalen Alltag – und die Kunst besteht darin, nicht reflexhaft nach klaren „Lösungen“ zu suchen, sondern diese Widersprüche in kreative Energie zu verwandeln.
Im nächsten Artikel unserer Serie werden wir aufzeigen, wie sich Glaubenssätze ganz praktisch und nachhaltig verändern lassen: von der ersten Bewusstmachung über konkrete Interventionen bis hin zur Verankerung neuer Überzeugungen. Zudem geben wir Einblicke in typische Fallstricke und Erfolgsfaktoren. Wenn Sie Fragen haben oder Unterstützung dabei möchten, mit der Komplexität der eigenen Glaubenssätze anders umzugehen und Paradoxien aktiv zu gestalten, sprechen Sie uns gerne an. Wir begleiten Sie systemisch fundiert bei Ihrem Transformationsvorhaben.
Der nächste Artikel dieser Serie erscheint Mitte Februar 2025.